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Panenka Titel

Glück auf Wattenscheid – Besuch vom Panenka Magazin

Liebe 09er,

uns erreichte schon vor einiger Zeit eine besondere Liebeserklärung an die SG 09 aus den Niederlanden, die wir euch natürlich nicht vorenthalten wollen. Zum Ende der vergangenen Saison besuchte uns das holländische Fanmagazin Panenka, welches in Europa bei Liebhabern der internationalen Fußballkultur bekannt ist, und einen ähnlich hohen Stellenwert wie die Fußball-Fachzeitschrift 11 Freunde besitzt.

Dabei wurden nicht nur unsere Stadionwurst und das Ambiente rund um das Lohrheidestadion gewürdigt, sondern auch über die einzigartige und treue Fanszene sowie die bewegende Historie der SG 09 Wattenscheid berichtet. Angesichts der momentan schwierigen Situation ist diese Widmung also noch einmal ein zusätzlicher Grund, gerade jetzt den Verein mit aller Macht zu unterstützen und für den Fortbestand unseres Traditionsvereines zu kämpfen.

Wir haben hier für euch den Originaltext von Peter van der Wijst aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt. Ein herzlicher Dank geht auch an Christian Riehm und die freundliche Genehmigung des Panenka Magazins.

 

Glück auf Wattenscheid

Von allen Ruhrgebietsclubs, die sich als Arbeiterverein bezeichnen, hat die SG Wattenscheid 09 vielleicht noch den größten Anspruch auf diesen Titel. Das wunderschöne Lohrheidestadion des Traditionsvereins aus Bochum liegt im Schatten des riesigen Förderturms der Zeche Holland. Das Panenka Magazin hat sich hier umgeschaut und sich sofort verliebt.

Anfang der Neunzigerjahre spielte die SG Wattenscheid 09 vier Jahre hintereinander in der Bundesliga. Mittlerweile kämpft der Club um den Klassenerhalt in der Regionalliga West. Unter dem Titel “Abgestürzt” veröffentlichte jüngst die deutsche Fußball-Zeitschrift „Kicker“ eine achtteilige Serie über Clubs, die ihre Spuren im deutschen Fußball hinterlassen haben, aber irgendwo auf ihrem Weg die richtige Ausfahrt verpasst haben. Der SG Wattenscheid 09 war einer dieser acht Vereine.

Zeit, dass sich wieder etwas daran ändert finden alle beim Traditionsverein aus Bochum. Und dieser Umschwung soll genau heute passieren. Die Schwarz-Weißen spielen gegen den TV Herkenrath 09. Jetzt gilt’s. Um der Abstiegszone zu entkommen, muss ein Sieg her. Man sollte meinen, dass alle extrem nervös sind, aber das hält sich in Grenzen. Es ist ein wunderschöner Frühlingstag und alle sind recht entspannt.

Ich spreche auf dem Parkplatz des Stadions gerade mit zwei Fans, als Christian Riehm, ein Mitarbeiter des Medienteams, schon angerast kommt. „Du bist ein Groundhopper, oder?“, fragt er mich, nachdem er aus seinem Auto ausgestiegen ist. „Ich erkenne euch sofort!“, fügt er an. Als ich ihm in meinem „Steinkohle-Deutsch“ sage, dass ich vom Panenka Magazin bin, strahlt er. Er kennt die Zeitung und die zusätzliche Aufmerksamkeit für seinen Club ist ihm sehr willkommen.

Geburtstagskuchen

Christian möchte mich gerne herumführen, muss aber zuerst den Kuchen zum Clubhaus bringen, denn Trainer Farat Toku hat heute Geburtstag. Ich spreche also weiter mit den beiden Fans, Alois Jansen und Uwe Schipanski, wobei letztgenannter auch zur Stadionsicherheit gehört. „Ja, die guten Zeiten sind längst vorbei“, sagen sie. „Angesichts der finanziellen Situation kommen diese sicherlich auch nicht mehr zurück. Aber Wattenscheid ist in unseren Herzen. Wir sind alle mit diesem Club aufgewachsen und können gar nichts anders, als Fan zu sein.“ Alois erzählt: „Ich bin jetzt 68 Jahre alt. Bis vor kurzem musste ich Samstagnachmittags immer arbeiten. Ich bin LKW-Fahrer und habe daher fast jedes Spiel verpasst. Das hat mich natürlich immer sehr geärgert. Jetzt, da ich Rentner bin, kann ich glücklicherweise immer kommen.“ Er zeigt auf einen LKW, der auf dem Parkplatz steht. „Mit dem bin ich heute gekommen. Manchmal bekomme ich noch die eine oder andere Fahrt rein. Prima, sag´ ich mir dann, aber samstags zwischen zwei und Viertel vor drei steht der LKW still, dann bin ich bei Wattenscheid.“

Nach meinem Besuch im Fanshop (einem glühend-heißen Container) finde ich Christian Riehm wieder. Er will mir endlich das Stadion zeigen. Ich nehme sein Angebot gerne an, denn das Lohrheidestadion ist ein echtes Juwel. Die Lage, die Tribünen, die Tartanbahn und die Stadionlampen, alles stimmt. Aufgrund der Bundesligavergangenheit hat das Stadion auch ein Fassungsvermögen von rund 16.000 Menschen.

Wattenscheider Bratwurst

Solche Besucherzahlen werden jedoch schon lange nicht mehr erreicht. Heutzutage ist der Club schon froh über 750 Zuschauer. Die Haupttribüne ist dann auch immer geschlossen. Die Tribüne an der langen Seite und die Stehseite daneben sind aber geöffnet. Hier ist es eng. So wird es trotzdem schnell gemütlich, obwohl (auch heute) nicht viel los ist. Das liegt vor allem daran, dass genau an dieser Ecke das Catering ist. Und da ist an diesem sonnigen Tag viel Betrieb.

Vor allem die Bratwurst ist populär. Und das hat seinen Grund: Die Stadionwurst von Wattenscheid ich schon mehrmals zur besten Wurst Deutschlands gekürt worden. Die Spezialität wird von Thiers Fleisch- und Wurstwaren aus Wattenscheid hergestellt. Mit einer Reklametafel macht der Familienbetrieb voller Stolz auf diese Auszeichnung aufmerksam. Christian fragt mich: „Hast du schon eine Wurst probiert? Das musst du unbedingt noch machen. Du darfst hier nicht eher weg, bevor du so eine Wurst gegessen hast.“ Ich verspreche es ihm.

Wir unterhalten uns weiter über das strukturell niedrige Besucheraufkommen bei Heimspielen. „Wir prüfen gerade, ob es möglich wäre, sonntags zu spielen. Jetzt spielen wir samstags, wenn hier im Ruhrgebiet auch alle anderen großen Clubs spielen. Die Menschen sitzen dann dort auf der Tribüne oder zu Hause vorm Fernseher. Vielleicht können wir mehr Menschen anziehen, wenn wir an einem anderen Tag spielen.“, erklärt mir Christian. Wir laufen durch den Spielertunnel. Christian zeigt auf die grauen Mauern: „Es wäre so schön, wenn wir hier mal renovieren könnten. Kennst du den Spielertunnel von Schalke 04? Da hat man einen Schacht draus gemacht. Nicht, dass wir das gleiche machen müssen, aber so ein Symbol würde auch hier passen. Es darf nur nichts kosten, denn Geld haben wir nicht.“

Crowdfunding

Wattenscheid geht es nicht nur aus sportlicher Sicht schlecht, auch finanziell sieht es nicht rosig aus. Ende letzten Jahres war ein Crowdfunding nötig, um den Fortbestand des Clubs zu sichern. Der Wunschbetrag von 350.000 € wurde erreicht, dank einiger besonderer Aktionen. So konnte man zum Beispiel erwerben, einmal Gast-Stadionsprecher zu sein. Zufälligerweise liest gerade heute jemand die Mannschaftsaufstellung vor. Die Saison kann also zu Ende gespielt werden, aber die Zukunft bleibt unsicher. „Wir müssen kreativ sein“, sagt Christian. „Vor kurzem ist unser Trockner kaputt gegangen. Geld für ein neues Gerät war nicht da. Deshalb gab es einen Aufruf von unserem Zeugwart Holger Terstegge bei Facebook. Daraufhin habe ich bei der Organisation geholfen. So lösen wir hier die Probleme.“ In der zweiten Halbzeit muss Christian dann arbeiten. Ich setze mich auf einen Hügel neben der Haupttribüne, mit Aussicht auf den Förderturm der Zeche Holland. Die Sonne scheint, hier kann man es herrlich aushalten. Ein paar Familien sitzen neben mir im Gras und picknicken.“

„Wattenscheid ist ein echter Familien-Club, jeder gibt sich hier die Hand. Das würde auf Schalke oder Dortmund nicht so schnell passieren“, sagt der 29-jährige Martin Krychowiak. Als Kind war er 1996 beim DFB-Pokal-Heimspiel dabei, als Wattenscheid Borussia Dortmund nach Verlängerung im Elfmeterschießen 4:3 besiegte. Die Dortmunder gewannen dann am Ende der Saison die Champions League. Das hat ihn zu einem lebenslangen 09-Fan gemacht.

Auf die Frage, wovon er denn noch träume, hat er schnell eine Antwort parat: „Von der Rückkehr der Derbys gegen den VfL Bochum. Das ist unser größter Rivale. In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre spielen wir noch zusammen in der Bundesliga. Das waren Zeiten. Mittlerweile haben wir schon seit Jahren aber nicht mehr gegeneinander gespielt. Wohl gegen Bochum II. Da ist es auch hoch her gegangen. Die Rivalität mit dem Nachbarn gibt es jedoch noch immer. So weigern sich viele Fans von Wattenscheid, das bekannte Bochumer Pils zu trinken. Stattdessen gibt es hier Schalker Bier.

Grundhoppers-Block

Angesichts der entspannten und gemütlichen Atmosphäre auf der Tribüne (überall um einen herum hört man den Bergmannsgruß „Glück Auf“) hätte ich beinahe vergessen, dass es heute um ein schicksalhaftes Duell geht. Glücklicherweise für alle Fans in den schwarz-weißen Trikots, sitzt Wattenscheid aber am längeren Hebel. Der Club gewinnt drei zu eins gegen den TV Herkenrath 09 und lässt durch diesen Sieg die Abstiegszone hinter sich.

Nach dem Spiel treffe ich Christian noch einmal wieder. Er ist überglücklich: „Ich habe das Gefühl, dass wir die Organisation hier endlich im Griff haben, mit den richtigen Menschen an der richtigen Stelle. Es wäre jammerschade, wenn wir ausgerechnet jetzt in die Oberliga absteigen müssten. Aber nach dem Sieg heute habe ich großes Vertrauen darin, dass wir es schaffen werden.“

Zum Schluss möchte er noch mit mir über eine Idee reden. „Wir haben bemerkt, dass Wattenscheid bei Groundhoppern sehr beliebt ist. Wir bekommen Besucher aus ganz Europa. Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit der Idee, irgendwo im Stadion einen speziellen Block für Groundhopper einzurichten. Auf diese Weise könnten sie sich treffen und Erfahrungen austauschen. Was meinst du, das wäre doch toll oder?“, fragt er.

Zechen

Wattenscheid war bis 1974 eine selbstständige Gemeinde. Mittlerweile ist es ein Stadtbezirk im Westen von Bochum. Wie auch in den meisten anderen Städten im Ruhrgebiet zwischen 1875 und 1960 gab es in Wattenscheid viele Zechen. Die wichtigsten waren Holland (benannt nach den niederländischen Investoren), Zentrum, fröhliche Morgensonne und Hannover. Das deutsche Bergbaumuseum in Bochum veranschaulicht diese Zechengeschichte. Es ist eines der meistbesuchten Museen Deutschlands, und das zurecht. Es gibt dort unheimlich viel zu sehen. Ein ideales Ausflugsziel also, während eines Wochenendtrips nach Wattenscheid. Auf jeden Fall kann man auch den ungefähr 70 Meter hohen Förderturm der ehemaligen Zeche Germania besteigen. Die Aussicht ist fantastisch, schon allein deswegen ist das Museum einen Besuch wert.

In Wattenscheid selbst kann man nicht allzu viel erleben. Es sieht hier alles ein bisschen in Jahre gekommen aus und im Zentrum findet man vor allem „Low-Budget“ Geschäfte. Vom Bahnhof aus kann man jedoch innerhalb von einer halben Stunde zum Lohrheidestadium spazieren. Kurz vor dem Stadion kommt man am riesigen Förderturm der Zeche Holland vorbei. Die SG Wattenscheid 09 liegt also buchstäblich im Schatten der Zeche. Der Förderturm wird im Augenblick restauriert und ist deswegen mit Gerüsten umhüllt, er bleibt aber trotzdem ein faszinierender Anblick. Ein Must-See für jeden, der den Club zum ersten Mal besucht. Nicht umsonst ziert auch die Wattenscheider Spielertrikots das Bild des Förderturms.

Leroy Sané

Den bekanntesten Spieler, den die SG Wattenscheid 09 hervorgebracht hat, ist zweifellos Leroy Sané (11. Januar 1996). Der Deutsche spielt momentan bei Manchester City, wohin er von Schalke 04 im Jahr 2016 für 44 Millionen € wechselte. Sein Vater Souleymane kam 1982 als französischer Soldat nach Deutschland, wo er später als Fußballer entdeckt wurde. Er spielte unter anderem von 1990 bis 1994 für die SG Wattenscheid 09 in der Bundesliga und entwickelte sich mit seinem schnellen Vorchecking und grandiosen Toren zu DEM Wattenscheider Fußballheld. Da die Deutschen damals noch nicht so an afrikanische Namen gewohnt waren, wurde Vater „Sammy“ übrigens nicht Sané genannt, sondern Sahne ausgesprochen.

Sein Sohn Leroy wuchs in direkter Nähe zum Lohrheidestadion auf und spielte als Kind 2001 selbstverständlich auch Fußball bei Wattenscheid. Dort wurde er 2005 von Schalke entdeckt. Nach einer Episode bei Bayer Leverkusen kehrte er 2011 wieder zu Schalke zurück. Seine zwei Brüder, Kim und Sidi, sind oder waren auch auf dem Fußballfeld aktiv. Kim spielte unter anderem für das zweite Team des FC Nürnberg und Sidi in der Jugendabteilung des FC Schalke 04. Auch Mutter Regina trieb Sport auf höchstem Niveau: Sie gewann bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles eine Bronzemedaille in Rhythmischer Sportgymnastik.

Der Originaltitel aus dem Panenka-Magazin von Peter van der Wijst ist in niederländischer Sprache erschienen und kann hier erworben werden: Klick mich!